Schach ist Sport! Oder doch nicht?

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Junge Schachtalente besuchen Sportklassen, der Schachbund ist Mitglied von Swiss Olympic und Noel Studer trägt das Leibchen vom FC Bayern München. Aber die interne Suchmaschine von Jugend+Sport wirft zum Schlagwort «Schach» sagenhafte 0 Treffer aus. Alles klar!

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Die Frage, ob Schach Sport sei, erhitzt regelmässig die Gemüter. Mal mehr, mal weniger. Aber warum eigentlich? Es geht um Anerkennung und Respekt. Nein, natürlich nicht. Es geht wie immer um Geld!

Seit Jahren versucht der Schweizerische Schachbund (SSB) bei Jugend+Sport aufgenommen zu werden. Bisher erfolglos. Nun haben wir leider auch Gewissheit, dass der letztjährige Antrag abgelehnt wurde.

Mit diesem Problem steht der SSB nicht alleine da. 2014 empörte sich z.B. die deutsche Schachszene über die Ankündigung, dass die Fördermittel für Schach gestrichen würden. Vor wenigen Monaten platzte der Olympia-Traum der FIDE erneut.

Ist der Schachsport ein Bauernopfer oder erfüllen wir einfach die Kriterien nicht? Dieser Text spiegelt lediglich meine persönliche Meinung wieder. Andere Meinungen finden in den Kommentaren Platz.

Alles eine Frage der Definition

Ob Schach Sport ist, hängt stark damit zusammen, wie wir den Begriff «Sport» definieren. Das führt in der Schweiz zu einer absurden Situation. Swiss Olympic anerkannt Schach als Sport. Jugend+Sport will allerdings nichts von uns Klötzchenschiebern wissen.

Olympisches Komitee

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) anerkennt Schach seit 1999 als Sportart. Die meisten Schachspieler wissen das. Die Empörung ist deshalb umso grösser, wenn ein nationaler Verband oder irgendein Ministerium zum gegenteiligen Schluss gelangt.

Das IOC ist DIE Sport-Autorität. Deren Meinung hat einen grossen Einfluss. Aber wie denkt das Komitee über Schach? Ich weiss es nicht. Offiziell gilt Schach als «Recognised Federation». Ich habe aber ehrlich gesagt keine Ahnung, was das konkret bedeuten soll.

Mehr als, dass Schach eine Sportart ist, aber nicht zu den olympischen Disziplinen gehört, kann ich da nicht rauslesen. Aber zwischen «Cheerleadern» und «Cricket» ist «Chess» immerhin in guter Gesellschaft.

Der offizielle Auftritt der Fide beim Olympischen Komitee benötigt keinen Link...

Dass das IOC Schach als Sportart aufführt, mag hilfreich sein, aber ein ernsthaftes Bekenntnis sieht anders aus. Noch schlimmer ist die FIDE. Sie träumt seit Jahrzehnten von Olympischen Spielen, ist aber unfähig, die eigene Webseite verlinken zu lassen. Aber später mehr dazu.

Swiss Olympic

Wie sieht es auf nationaler Ebene aus? Swiss Olympic ist die Dachorganisation der Schweizer Sportverbände und gleichzeitig das Nationale Olympische Komitee. Erfreulicherweise ist der Schweizerische Schachbund seit dem Jahr 2000 Mitglied.

Swiss Olympic folgt der Sport Definition von SportAccord. Diese wiederum erhält die vollständige Unterstützung vom IOC. Somit basiert die Legitimation von Schach als Sport bei Swiss Olympic und dem IOC auf der Definition von SportAccord.

Diese ist dem Turnierschach tatsächlich wohlgesinnt und lässt keine Zweifel zu, dass Schach Sport ist! Hier die Grundzüge:

  1. Die antragstellende Sportart sollte ein wettkampfmässiges Element beinhalten.
  2. Die Sportart sollte nicht von Glücksfaktoren abhängen, die spezifisch in die Sportart integriert werden.
  3. Die Sportart sollte nicht danach bewertet werden, ob sie ein übermässiges Risiko für die Gesundheit und die Sicherheit der Athleten oder Teilnehmer darstellt.
  4. Die antragstellende Sportart sollte in keiner Weise schädlich für lebende Geschöpfe sein.
  5. Die Sportart sollte nicht auf Ausrüstung angewiesen sein, die von einem einzelnen Ausrüster zur Verfügung gestellt wird.

Jugend+Sport

Jugend+Sport (J+S) ist ein leidiges Kapitel - nicht nur für den Schachsport. 2009 trat ein Moratorium in Kraft. Somit war es nicht mehr möglich, in dieses Förderprogramm aufgenommen zu werden. Die Begrenzung auf einzelne Sportarten war willkürlich und nicht mehr zeitgemäss.

Dank der Motion Gmür wurde der Aufnahmestopp 2018 abgeschafft. Somit war der Weg für Schach wieder frei. Das Bundesamt für Sport (BASPO) stellt mehrere Anforderungen an Sportverbände, die einen Aufnahmeantrag einreichen. Ich werde hier nur einen Teil zitieren. Der Rest ist offiziellen Dokument zu finden. Das BASPO:

«Bei der Sportart handelt es sich um einen Sport mit nach bestimmten Regeln durchgeführten physischen (körperlichen und athletischen) Aktivitäten, die auch wettkampfmässig durchgeführt werden (angelehnt an Swiss Olympic).»

Das BASPO lehnt sich also an Swiss Olympic an, scheint sich aber mit den Worten «körperlichen und athletischen Aktivitäten» eine Hintertür offenzulassen. Eine clevere Sache, wenn man geistige Leistungen nicht fördern will.

Obwohl der SSB seine Ausbildungskonzepte völlig überarbeitet hat und regelmässig Ausbildungskurse für Trainer durchführt, hat J+S die Aufnahme abgelehnt. Laut der SSZ (3. Ausgabe 2019), ist die «mangelnde Bewegung» das massgebende Kriterium.

Eine scheinheilige Erklärung, wie ich meine, denn die Sportschützen sind Mitglied. Ist es nicht gerade deren primäres Ziel, sich nicht zu bewegen? Zumindest hoffe ich, dass sie ein ruhiges Händchen besitzen und nicht wild herumfuchteln.

Die entscheidungsbemächtigten Personen beim BASPO dürften noch nie an einem mehrtägigen Schachturnier teilgenommen haben. Eigentlich schade, denn das könnte vielleicht ihre Sichtweise auf den Schachsport ändern.

Ich glaube, dass bei J+S schlicht niemand auf uns wartet. Im Gegenteil: Die fürchten sich. Wenn Schach aber aufgenommen würde, öffnet das die Tür für andere Brettspiele. Dies wäre noch verkraftbar. Nicht aber die riesige E-Sports Szene!

WIM Lena Georgescu traf in der Webserie «Clash» von Swisscom auf einen E-Sportler.

Dass zwischen E-Sport und Schach Parallelen bestehen, beweist z.B. diese Watson-Story mit Lena Georgescu und Gion Janett. Das Problem: E-Sport ist für klassische Sportvereine ein Feindbild.

Haben Computer Games doch eine magische Anziehungskraft auf junge Menschen. Statt sich im Freien zu bewegen, kippen die Zocker ein RedBull nach dem anderen rein und sprengen alles in die Luft, was nicht zum selben Clan gehört. Diese Konkurrenz ist gefährlich und gehört sicher nicht gefördert.

Etwa so stelle ich mir das Renommee von E-Sportlern beim Bundesamt für Sport vor. Aber ok, bleiben wir beim Schach.

Duden

Die Welt hat sich zwar rasant verändert, aber der Duden ist nach wie vor eine unbestrittene Autorität in Sachen Definitionen. Er macht die Sache aber auch nicht wirklich klarer:

Was meint der Duden zum Begriff Sport? (Quelle: https://www.duden.de/rechtschreibung/Sport)

In der einen Definition wird klar auf die körperliche Betätigung hingewiesen, die andere spricht eher von einem Vergnügen. Die unterschiedlichen Interpretationen bringen zum Ausdruck, dass sich die Verwendung des Worts «Sport» verändert hat.

Ursprünglich stammt das Wort «Sport» von altfranzösischen «desporter» (sich vergnügen) ab. Auch im englischen bedeutet «disport» Vergnügen. Der durchschnittliche Schweizer denkt aber instinktiv an eine körperliche Betätigung.

Wikipedia

«Unter dem Begriff Sport werden verschiedene Bewegungs-, Spiel- und Wettkampfformen zusammengefasst, die meist im Zusammenhang mit körperlichen Aktivitäten des Menschen stehen, ohne in erster Linie der Warenproduktion, kriegerischen Kampfhandlungen, dem Transport von Waren bzw. Gepäck oder der alleinigen Ortsveränderung zu dienen.»

Mir gefällt diese Definition von Wikipedia. Mit der präzisen Formulierung durch «meist» wird Schach nicht per se ausgeschlossen. Schlussendlich liegt es aber im Auge des Betrachters, wie stark er Sport mit körperlichen Aktivitäten gleichsetzt.

Typische Merkmale von Sportarten

Vergleicht man, die vom IOC anerkannten Sportarten, lassen sich einige typische Merkmale finden. Keines dieser Merkmale kann für sich allein in Anspruch nehmen, das Wesen des Sports auszumachen. Erst zusammengenommen werden sie der Vielschichtigkeit des Phänomens «Sport» einigermassen gerecht.

  • Gebundenheit des Sports an bestimmte Organisationsformen (Vereine, Verbände)
  • Internationalität des Sports
  • Körperliche Betätigung
  • Orientierung am Leistungsprinzip
  • Prinzipielle Zugänglichkeit des Sports für alle Menschen
  • Regelgebundenheit
  • Spielcharakter des Sports
  • Wettkampfform
  • Zweckfreiheit der Tätigkeit, d.h. Ausführung der Tätigkeiten um ihrer selbst willen

Ich habe die Punkte bewusst alphabetisch sortiert, um keine Wertung vorzunehmen. Wahrscheinlich hätte jeder Charakterzug einen eigenen Abschnitt verdient, aber das würde den Rahmen sprengen. Bis auf die «Körperliche Betätigung» sind alle Merkmale beim Schachspiel völlig unbestritten gegeben.

Schach ist über den Weltverband FIDE organisiert. Sie vereint 193 Nationen und gehört damit zweifellos zu den globalsten Sportverbänden überhaupt. Die [link blog="114" title="Schachregeln"] sind überall gleich. Damit unterscheidet sich Schach von anderen Brettspielen wie Dame oder Backgammon.

Die Topstars kämpfen bei Weltmeisterschaften, Team-Olympiaden usw. um Ruhm und Ehre, aber auch Kinder, Blinde oder Menschen im Rollstuhl messen sich an Turnieren miteinander. Frauen besiegen Männer und umgekehrt.

Casus Knacksus: Körperliche Aktivität

«What you see, is what you get». Jeder Webentwickler kennt diesen Spruch. Er passt zu unserem Dilemma. Ist Schach anstrengend? Ja, gewiss. Sieht Schach anstrengend aus? Nein, überhaupt nicht.

Der deutsche Schachgrossmeister und Arzt Dr. Helmut Pfleger hat in den 1980er Schachspieler hinsichtlich ihrer körperlichen Anstrengung untersucht. Er konnte zeigen, dass sich Spitzenspieler bezüglich Atemfrequenz, Herzfrequenz oder Blutdruck kaum von Sportlern aus den Bereichen Sportschiessen, Bahnengolf, Motorsport oder Billard unterscheiden.

Auch haben Leistungsdiagnostische Untersuchungen ergeben, dass die allgemeine Fitness von Schachspielern jener der vorhin genannten Sportler nicht nachsteht. Die konkreten Ergebnisse stammen aus dem Schachmedizin-Turnier von 1981:

  • Erhöhte Atemfrequenz (von 15 auf 40/min)
  • Erhöhung des systolischen Blutdrucks (von 120 auf über 200)
  • Erhöhung des diastolischen Blutdrucks (bis zu 65%)
  • Zunahme der Herzschlagfrequenz (zwischen 25 und 120%)
  • Erhöhung der elektrischen Leitfähigkeit

Es konnten auch Gewichtsverluste nachgewiesen werden. Im epischen Weltmeisterschaftskampf zwischen Anatoly Karpov und Garry Kasparov soll Karpov ca. zehn Kilogramm während den 48 Langzeitpartien verloren haben. Karpov war so erschöpft, dass der Wettkampf abgebrochen werden musste.

Diese Ergebnisse decken sich mit den subjektiven Gefühlen von aktiven Turnierschachspielern. Jeder Spieler ist nach einem neunrundigen Langzeitturnier erschöpft. Meiner Erfahrung nach, nimmt dazu die Qualität der Partien in den Schlussrunden ab.

Wollen wir überhaupt «Sportler» sein?

Stellen wir uns eine Welt vor, in der Wissenschaftler und Künstler die fetten Sponsoring-Verträge unterzeichnen. Im Stile: «Martin Sutter schreibt seine Romane mit Caran d’ache». Der Staat würde lauter kulturelle Vereine mit Geld unterstützen. Die 11 Spinner, die einem Ball nachjagen würden lediglich Randspalten in den Zeitungen füllen.

Würden wir uns unter diesen Voraussetzungen noch immer als Sportler präsentieren oder würden wir uns plötzlich davon distanzieren? Warum reicht es uns nicht aus, einfach nur das Spiel der Könige zu sein? Sind unsere «Schach ist Sport» Argumente lediglich Mittel zum Zweck?

Halbherzige Aktionen

Der internationale Meister Ilja Schneider sucht in seinem kritischen Artikel bei der Zeit nach Antworten. Leider muss ich ihm in vielen Punkten rechtgeben. Die Schachverbände müssen sich selbstkritisch hinterfragen, was sie tun, um als Sport anerkannt zu werden.

  • Wollen wir auch 2030 lediglich die Ergebnisse von Dr. Helmut Pfleger anführen? Wo werden neue Untersuchungen zu den physischen Aktivitäten während einer Schachpartie durchgeführt? In meiner Recherche stiess ich lediglich auf eine interessante Studie (Update: leider nicht mehr online verfübar).
  • Was macht die FIDE – abgesehen davon, dass sie von Olympischen Spielen träumt? Wenn ich nach «chess sport fide» google, beschreiben die Adjektive «schwach» und «peinlich» das Ergebnis am besten. Unter dem früheren Präsidenten Kirsan Ilyumzhinov konnte sich die FIDE nicht mal entscheiden, ob man sich als Sommer- oder Wintersport sieht.
  • Vor einigen Monaten übertrug SRF abendfüllend die European Championships (Leichtathletik, Schwimmen usw.). Unser Pendant, die «International Mind Sports Association», erreicht dagegen gar nichts. Die letzte Schachnews ist vier Jahre alt. Es gibt Schachvereine mit ca. zehn Mitgliedern, die sich professioneller präsentieren als diese Dachorganisation…

Der neuerliche Anlauf der FIDE für die Olympischen Spiele ist auch unter der neuen Führung kläglich gescheitert. Ich frage mich, ob die das wirklich ernst meinen:

Schach oder 8 Kilometerlauf? Spielt laut der Fide keine Rolle.

Solche Aussagen ohne konkrete Quellenangabe sind selbst auf Twitter äussert grenzwertig. Die bescheidene Grafik scheint sich auf eine «Untersuchung» zu beziehen, welche beim Isle of Men Turnier 2018 durchgeführt wurde.

Wenn ich das richtig verstehe, wurden zwar mehrere Spieler untersucht, aber die Messwerte (bestimmt Extremwerte) von einem Spieler (GM Mikhail Antipov) als Basiswert genommen. Das reicht beim besten Willen nicht. Ich denke, dass ein Medizin Student mit einer solchen Analyse bei seiner Bachelorarbeit gnadenlos durchfallen würde.

Da frage ich mich: Haben wir nicht gerade in unserem Sport genügend Mediziner, Biologen bzw. Wissenschaftler, die so etwas seriös aufgleisen können? Würde es die FIDE ernst meinen, hätte sie ein paar tausend Dollar investiert und die Sache mal wissenschaftlich fundiert untersuchen lassen.

Wie lächerlich das Ganze ist, unterstreicht der Schachblog Perlen von Bodensee: «Eineinhalb Stunden, nachdem die BBC gemeldet hatte, dass die FIDE-Kampagne gescheitert ist, begann der Deutsche Schachbund, sie zu unterstützen.»

Ich bin mir sicher, dass kritische Leser noch viele weitere Punkte anzufügen haben. Dafür stehen die Kommentare offen. Es greift allerdings zu kurz, mit dem Finger auf Verbände bzw. deren Funktionäre zu zeigen...

Der privilegierte Turnierschachspieler

Wie flexibel zeigt sich denn der individuelle Turnierschachspieler? Ist er bereit, das Schachspiel ins 21. Jahrhundert zu führen, oder träumt er von den alten romantischen Zeiten? In privaten Gesprächen mit Schachfreunden/innen erkenne ich drei Grundmeinungen:

  1. Ja, Schach ist Sport!
  2. Nein, Schach ist kein Sport!
  3. Ist mir doch egal!

Mag sein, dass die erste Gruppe am grössten ist, aber ein geschlossener und zielstrebiger Auftritt sieht anders aus. Das betrifft nicht nur das Thema Sport, sondern auch Sponsoring. Der Schachspieler lässt sich kaum etwas vorschreiben. Man will zwar von den Privilegien der Sportarten profitieren, ist aber nicht bereit, den Preis dafür zu bezahlen:

  • Warum soll es normal sein, seinen ersten Zug zu spät auszuführen? Vor Kurzem wurde die Karenzzeit in der SGM und SMM von 30 auf 60 Minuten erhöht.
  • Warum tritt keine NLA Mannschaft in einheitlichen Shirts auf? Bei SwissCurling fungiert Erima sogar als Sponsor. Beim Darts tragen die Spieler individuell designte Shirts.
  • Warum sind Schachkommentare nur sehr selten auf Laien ausgerichtet? Und mit Laien meine ich Leute, welche die Gangart der Figuren kennen, mehr nicht. Ich werde nie vergessen, wie Karsten Müller erklärt, weshalb man mit einem Figurenübergewicht den Abtausch forcieren sollte. Es ging etwa: Wenn ein Fussballer eine Rote Karte erhält, schwächt das sein Team. Aber bei 10 vs. 11 Spielern ist immer noch viel möglich. Wenn allerdings bei einem Tennis-Doppel ein Spieler des Platzes verwiesen würde, wäre das Match gelaufen. Versteht jeder, oder?

Positive Beispiele

Natürlich gibt es auch positive Beispiele. Um die Faszination Schach zu verstehen, muss man sie live erleben. Das haben z.B. die beiden Nationalräte Martin Candinas und Heinz Brand an der SEM 2018 getan. Peter Wyss, Präsident vom schweizerischen Schachbund, führte die beiden Politiker durch den Turniersaal und erklärte ihnen das Geschehen. Diese posteten ihre Eindrücke auf ihren sozialen Kanälen.

An kreativen Ideen fehlt es nicht. Seit einigen Monaten regt z.B. der Blog «Schachperlen vom Bodensee» immer wieder zu interessanten Diskussionen an. Warum zeigen die Verbände keine Werbung auf den Elolisten an oder wie fotografiert man Schachspieler am besten?

Auch die Fide darf man mal loben: cooler Slogan!

Das sind zwar nette Einzelbeispiele. Insgesamt bleibt allerdings das nüchterne Fazit: Wir verkaufen unseren Sport nach wie vor unprofessionell.

Wie denken Andere über Schach?

In Diskussionen stelle ich immer wieder fest, dass Schachspieler in der breiten Bevölkerung einen exzellenten Ruf geniessen. Schachspieler gelten als besonders intelligent und der Laie staunt über die langen anstrengenden Partien.

Mehrere Schachgrössen wurden in ihren Ländern zum «Sportler des Jahres» gewählt – darunter Kasparow, Anand und Carlsen. Aber was heisst das in Bezug auf Sport?

SRF zum Suchbegriff "Carlsen"

Bei SRF habe ich nach «Carlsen» gesucht. Alle Ergebnisse werden in der Rubrik «Sport» gelistet. Interessanterweise erschienen allerdings die zwei Berichte von Noel Studer als «News» und «Deepblue vs. Kasparow» wird als «Kultur» verkauft.

Das Schweizer Sportmagazin «Sport» schrieb vor mehreren Jahren einen Artikel über Schach & Sport und forderte die Leser dazu auf, per Telefon abzustimmen. Das Resultat der eingefleischten Sportfans mag verblüffen. 93% der Anruferinnen und Anrufer waren sich einig: Schach ist Sport!

Ich habe im Zuge dieses Artikels versucht herauszufinden, ob die Zeitschrift «Sport» noch existiert. Ich glaube, das ist nicht mehr der Fall. Aber lustigerweise Google leitete mich auf presseshop.ch, wo man brandheisse Magazine bestellen kann:

Screenshot von presseshop.ch

Der ehemalige Trainer des FC Bayern München, Louis van Gaal, posiert also vor einem Gartenschach. Das passiert immer und immer wieder! Sein Berufskollege Felix Magath ist bekennender Schachfan: «Schach ist für mich neben Fussball der schönste Sport, weil es auf Grund der Figuren auch ein Mannschaftssport ist.».

Waldimir Klitschko mag nicht nur Milchschnitte, sondern auch Schach. Auf einen bevorstehenden Kampf angesprochen antwortete Waldimir: «Jeder Kampf ist ein Schachspiel. Eigentlich kann man Boxen als Ganzes als eine Art Schach bezeichnen. Und in diesem speziellen Fall ist der letzte Zug allerdings noch nicht getan.»

Sein Bruder Vitali ist derselben Meinung: «Schach und Boxen haben viel Ähnlichkeit, denn bei beiden Sportarten kommt es auf die richtige Strategie an».

American Football gilt als eine der härtesten Sportarten überhaupt. Seit einigen Jahren überträgt RAN dieses Spektakel während der Saison wöchentlich. Ich zieh mir das jeden verdammten Sonntag rein und es vergeht keiner, an dem Coach Esume oder seine Kollegen nicht sagen: «American Football ist wie Schach auf Rasen».

Man könnte noch dutzende solcher Beispiele anführen. Unter Sportlern scheint es unglaublich cool zu sein, sich mit dem Schachspiel zu vergleichen. Würden sie entscheiden, dürfte Schach ohne grössere Probleme ganzheitlich als Sport anerkannt werden.

Sport hin oder her, Förderung bitte sehr!

Bei all den Diskussionen «Sport oder nicht?» geht die eigentlich zentrale Frage vergessen. Ist das Schachspiel ein sinnvolles Spiel, das man fördern sollte? Die Antwort kann eigentlich nur ja lauten. Ich habe meine Gedanken dazu schon einmal niedergeschrieben:

Ich kann mir kaum vorstellen, dass die positiven Faktoren des Schachspiels ernsthaft in Frage gestellt werden. In Zeiten, wo immer mehr alte Menschen an Demenz leiden und die Konzentrationsschwäche bei Kindern zunimmt, ist Schach ideal.

Warum wird Schach also nicht wirklich gefördert? Weil das Schachspiel in zu viele Töpfchen passt. Keiner fühlt sich so richtig zuständig.

Aus Sicht des Schachs ist es eigentlich nicht so relevant, ob die Förderungsbeiträge aus dem Topf «Sport», «Kultur», «Bildung» oder was auch immer stammen. Wir benötigen einfach eine finanzielle Basis, um das Schachspiel möglichst vielen Kindern nahebringen zu können.

Fazit

Schach ist ein unglaublich vielseitiges Spiel, welches ich persönlich im Bereich des Sports ansiedele. Die FIDE und die nationalen Schachverbände sind gut beraten, den Charakter des Spiels seriös zu untersuchen. Nicht nur in Bezug auf die körperlichen Anstrengungen, sondern auch auf die positiven Effekte.

Wenn diese wissenschaftlichen Argumente vorliegen, haben es alle Schachinitiativen einfacher an Fördermittel zu gelangen und in nationale Sportverbände aufgenommen zu werden. Die Gesellschaft wird davon nur profitieren.

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