Spiel der Woche #28: Thurn und Taxis

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Stell dir eine Welt ohne öffentliche Verkehrsmittel vor. Henry Ford ist noch nicht einmal geboren. In Thurn und Taxis ist es deine Aufgabe, das Postkutschen Netz im deutschsprachigen Raum aufzubauen. Nur wer kluge Strecken legt, kann beim Spiel des Jahres 2006 gewinnen. Du bist klug, oder?

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Ein neues Spiel auszuprobieren, ist wie ein Geschenk auszupacken: Man weiss nie, was einem erwartet. Um etwas Licht ins Dunkle zu bringen, stellt spielezar.ch jede Woche ein Gesellschaftsspiel ausführlich vor. Diese Woche: «Thurn und Taxis»

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Das Brettspiel Thurn und Taxis beruht auf einer wahren Gegebenheit. Die Gebrüder Janetto und Francesco dei Tasso etablierten das Postwesen in Europa. Nachfahren bauten das Unternehmen aus und stiegen in den Adel auf. Ab 1650 durfte sich die Familie «Thurn und Taxis» nennen.

Spielablauf

Europäische Städte zieren die Spielfläche von Thurn und Taxis. Wir befinden uns im 17. Jahrhundert. Die Spieler versuchen, einen effizienten und vor allem flächendeckenden Postkutschenbetrieb aufzubauen. Wer die meisten Siegpunkte sammelt, gewinnt das Spiel.

Ein Spielzug besteht aus drei Elementen:

  1. Man muss eine Stadtkarte auf die Hand nehmen.
  2. Man muss eine Stadtkarte ablegen und baut damit die Strecke aus.
  3. Man kann die Strecke abschliessen.

Es liegen sechs Städtekarten offen. Dort oder vom verdeckten Nachziehstapel ziehst du eine Karte. Anschliessend legst du eine Karte vor dir ab. Damit baust du eine Strecke. Die Amtspersonen sorgen dafür, dass Thurn und Taxis spannend wird. Ihre Funktionen erkläre ich später.

Strecke abschliessen

Ein Verkehrsbetrieb aufzubauen ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Bei Thurn und Taxis baust du nicht direkt ein Postkutschenetz. Das Netz entsteht durch verschiedene Strecken. Strecken baust du eine nach der anderen. Eine Strecke besteht aus verschiedenen Städten:

Thurn und Taxis: ein ausgezeichnetes Brettspiel.

Der Spieler hat zuerst Ulm abgelegt. Anschliessend hat er eine Verbindung nach Stuttgart errichtet. Von Ulm hat er zudem den Verkehr in das östliche Augsburg sichergestellt. Abzweigungen gibt es nicht. Möchte der Spieler nun die Strecke noch verlängern, muss er in Stuttgart oder Augsburg fortfahren.

Von Stuttgart könnte man in die direktanliegenden Städte Carlsruhe, Mannheim, Würzburg, Nürnberg und Ingolstadt weiterbauen. Wenn du mindestens drei Städte miteinander verbunden hast, kannst du eine Strecke abschliessen. Du baust dann Stammhäuser und wirfst die Städtekarten weg.

Stammhäuser bauen

Mit Autos legen wir hunderte Kilometer zurück, sofern der Most reicht. Das war einmal anders. Pferde werden müde und müssen ausgewechselt werden. Deshalb baust du Stammhäuser. Du kannst nur auf Städte ein Stammhaus setzen, die in deiner Strecke vorkommen. Du hast zwei Möglichkeiten:

  1. Du entscheidest dich beim Bauen für ein Land.
  2. Du entscheidest dich beim Bauen für mehrere Länder.

Wenn du für ein einzelnes Land entscheidest, darfst du in jeder Stadt dieses Landes ein Haus bauen. Wenn du internationale Pläne verfolgst, darfst du in jedem Land eine Stadt aufrüsten. Wenn du Raststätten hinstellst, hilfst du nicht nur den Pferden. Indirekt sammelst du auch Siegpunkte.

Bist du der Erste, der jede Stadt von Baiern erschliesst, erhältst du z.B. fünf Punkte. Die Konkurrenz kann dir das zwar nachmachen, staubt aber nur noch vier Punkte ab. Bei Thurn und Taxis geht es darum, schnell zu sein. Es ist ein Wettrennen. Weitere Siegespunkte sammelt man, indem man seine Kutsche erweitert oder besonders lange Strecken baut.

Amtspersonen

Pro Zug darfst du eine Amtsperson in Anspruch nehmen. Postmeister, Amtmann, Postillion und Wagner eröffnen dir zusätzliche Möglichkeiten. Bisher habe ich nur erklärt, dass man eine Karte aufnimmt und anschliessend eine ablegt. Das ergibt wenig Sinn. Wo bleibt da die Entscheidungsfreiheit?

Mit dem Postmeister darfst du zwei Karten in die Hand nehmen. Setzt du ihn in mehreren Zügen ein, baust du dir also ein Kartendeck auf. Nachdem man eine Strecke abgeschlossen hat, darf man allerdings maximal drei Karten auf der Hand halten. Der Rest fliegt auf den Ablagestapel.

Der Amtmann tauscht alle sechs offenen Karten aus. Du nutzt ihn, wenn nur unnütze Karten dort liegen. Der Amtmann nutze ich eher selten. Der Postillion erlaubt es dir, zwei Karten in einem Spielzug an die Strecke anzulegen. Der Wagner verhilft dir zu einer schnelleren und luxuriöseren Kutsche.

Spielende

Wenn ein Spieler alle Häuser verbaut hat oder die beste Kutsche besitzt, ist das Spiel zu Ende. Es werden alle Siegpunkte zusammengezählt. Wer am meisten hat, steigt in den Adel auf. Die Punkte berechnen sich wie folgt:

+ Punkte aus Gebieten
+ Punkte aus langen Strecken
+ Punkte von der Kutsche
- Nicht verbaute Häuser

Beurteilung

Als regelmässiger Leser unserer «Spiel der Woche» Kolumne ist dir wahrscheinlich aufgefallen, dass der Abschnitt zum Spielablauf etwas üppiger ausgefallen ist. Ich habe mich versucht kurz zu halten, aber das hat nur bedingt funktioniert. Sorry gäll!

Wer den «Spiel des Jahres» Preis abräumt, hat Gelegenheitsspieler im Visier. Das ist bei Thurn und Taxis nicht anders. Ich empfehle dieses Brettspiel aber nicht blutigen Einsteigern. Der Mechanismus beim Häuserbau ist am Anfang leicht verwirrlich. Die Amtspersonen erschweren den Spielablauf zusätzlich.

Das ist nicht negativ gemeint. Nur eine objektive Einschätzung, für wen das Spiel geeignet ist. Thurn und Taxis ist ein tolles Spiel. Die geschichtliche Thematik ist wunderbar umgesetzt. Auf der Spielfläche trumpfen historische Gebäude der Städte auf.

Ein Zusatzblatt verrät die Namen der Gebäude und erzählt die Geschichte Rund um die Familie Thurn und Taxis. Die Schweiz ist mit dem Basler Rathaus und dem Zürcher Grossmünster ebenfalls vertreten. Chapeau «Hans im Glück», das habt ihr wirklich vorbildlich umgesetzt!

Andreas und Karen Seyfarth habe Thurn und Taxis gemeinsam entwickelt. Mit «Manhattan», «Puerto Rico», «San Juan» hatte Andreas Seyfarth bereits grosse Preise gewonnen. Das Ehepaar weiss, wie man tolle Spiele erfindet! Leider haben die beiden in den letzten Jahren nichts mehr veröffentlicht. Ich hoffe auf ein Comeback.

Bei älteren Spielen interessieren mich immer die Meinungen von anderen Rezensenten. Ich habe noch nie einen so grossen Spagatt bei einem Gesellschaftsspiel erlebt. Die Meinungen reichen von Schrott bis Grandios. Für mich ist klar: Thurn und Taxis ist richtig gut. Zum Glück sieht das die grosse Mehrheit so.

Thurn und Taxis bietet wenige Interaktionen, aber das werte ich nicht negativ. Destruktive Spielweisen sind nur bedingt möglich. Wer Konfrontationen scheut, aber eine gewisse Spieltiefe mag, ist hier glänzend aufgehoben.

Jeder verfolgt seine individuelle Strategie. Gestört wird wenig. Man kann den anderen Kutschenbetreibern wichtige Städte, vor der Nase wegschnappen oder Gebiete schneller besetzen. Wer aber seinen Mitspielern dauernd eins auswischen will, ist hier falsch.

Thurn und Taxis beinhaltet einige strategische Kniffe. Man kann z.B. ein schnelles Spielende provozieren, indem man seine Kutsche, ohne zu zögern, aufwertet. Das setzt die Mitspieler mächtig unter Druck. Wer eine Strecke legt, sollte schon zuvor wissen, wie er die Häuser bauen wird.

Spielcharakter

Komplexität
2.5
Gelegenheitsspieler benötigen eine Weile, bis sie den Spielmechanismus intus haben. Die ausführlichen Spielregelen sind übersichtlich und überzeugen mit praktischen Beispielen.
Glücksfaktor
2
Hänschen benötigt auch ein wenig Glück. Wenn du Karten ziehst, liegt manchmal ein Paradies und manchmal nur Schrott vor dir.
Strategie
3
Strategie schlägt Glück. Wie soll ich eine Strecke bauen? Welche Amtperson nutze ich in meinem Zug? Konzentriere ich mich auf Gebiete oder lange Strecken?
Kommunikation
1
Es ist kein kommunikatives Spiel. Das bedeutet aber nicht, dass man sich nicht unterhalten darf.
Hektik
1
Das Spiel ist ruhig. Ein Spieler zieht nach dem Anderen.

Fazit

Thurn und Taxis ist für Gelegenheitsspieler, die bereits die eine oder andere Erfahrung mit analogen Spielen gesammelt haben. Du tauchst in die europäische Geschichte ein und baust ein Postkutschennetz auf. Gelingt es auch dir, in den Adel aufzusteigen?

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